Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, zur Rolle der Digitalindustrie in der Energiewende
Bei der Energieversorgung spielen digitale Infrastrukturen eine zunehmend wichtige Rolle. Wie möchten Sie kommunale Unternehmen dabei unterstützen, ihre Energiesysteme digital krisenfest aufzustellen?
Die Coronapandemie zeigt uns in vielerlei Hinsicht Leerstellen auf. Das setzt aber gleichzeitig Potenzial für Veränderungen frei. Das müssen wir jetzt nutzen, um uns für die Zukunft besser und vor allem krisenfest aufzustellen. Ein wichtiger Punkt sind dabei die Energieinfrastruktur und die digitale Infrastruktur. Sie bilden zusammen das Rückgrat für die sozial-ökologische Transformation in unserem Land. Im Zusammenspiel können wir diese so umbauen, dass eine punktgenaue Versorgung mit regenerativer Energie gewährleistet ist – und zwar dort, wo sie gebraucht wird. Für die Modernisierung unseres Lebens und unserer Wirtschaft sind diese Veränderungen essenziell. Das funktioniert aber nur, wenn wir der konsequenten Gewährleistung der IT-Sicherheit endlich Priorität in der digitalen Welt geben. Wir fordern daher unter anderem, das IT-Sicherheitsgesetz endlich zu modernisieren und kommunale Unternehmen und Energieversorger mit aktiven Anreizen wie Zertifikaten zu unterstützen.
Durch Homeoffice, E-Learning und Videotelefonie ist unser Energieverbrauch in den letzten Monaten massiv angestiegen. Welchen Appell für einen nachhaltigen Ressourcenverbrauch richten Sie an den Endverbraucher und die Digitalkonzerne?
Wir alle können und müssen unseren Ressourcen- und Energieverbrauch ständig überdenken und verbessern. Allerdings können wir die Verantwortung für eine nachhaltige Digitalisierung nicht hauptsächlich den Nutzer*innen überlassen. Dafür braucht es auch klare Vorgaben. Die Digitalisierung nachhaltig zu gestalten (Green IT) und mit digitalen Technologien die ökologische Transformation zu stärken (Green by IT) ist jedoch ein komplett blinder Fleck im Tätigkeitsbereich der Bundesregierung. Wir wollen eine grüne Digitalisierung und digitale Innovationen als Beitrag zum Klimaschutz einsetzen, fördern und priorisieren. Deshalb setzen wir uns für einen Nachhaltigkeitscheck für digitale Entwicklungen, für finanzielle Unterstützung von Forschung und Entwicklung ebenso wie für eine nachhaltige Innovationsstiftung ein. Konkret schlagen wir u.a. vor, Anreize für die Reduktion des IT-bedingten Stromverbrauchs in Rechenzentren zu schaffen, wie etwa die Umstellung auf energieeffiziente Wasserkühlungssysteme und eine Nutzung der Abwärme. Sinnvoll wäre auch, die Zertifizierung des Blauen Engels für Softwareprodukte deutlich auszuweiten.
Welche Initiativen und Anreize möchten Sie einbringen, um nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Privathaushalte zu digitalisieren?
Für uns bedeutet die Energiewende, unsere Energieversorgung komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Dafür brauchen wir einen deutlich höheren Ausbau der erneuerbaren Energien sowie gleichzeitig einen schnelleren Kohleausstieg. Bei der Energiewende, die auf Erneuerbaren beruht, sind gerade die Haushalte unverzichtbare Akteure, denn sie werden künftig eine immer aktivere Rolle am Strommarkt spielen – sowohl als Stromerzeuger als auch als Verbraucher. Daher wollen wir sie in die Lage versetzen, sich aktiver an den verschiedenen Strommärkten zu beteiligen. Intelligente Zähler und variable Tarife können Haushalte und Kleinunternehmen dabei unterstützen, den Energieverbrauch zu verringern und aktiv Geld zu sparen. Durch variable Tarife wollen wir für sie Anreize schaffen, verbrauchsintensive Geräte dann laufen zu lassen, wenn der Stromverbrauch insgesamt niedrig ist.
Wichtig ist dabei sicherzustellen, dass Haushaltskundinnen und -kunden durch den Smart-Meter-Rollout in der Regel tatsächlich Geld sparen können und durch die Implementierung höchster Datenschutz- und IT-Sicherheitsstandards sowie durch die Sicherung digitaler Infrastrukturen Skepsis abgebaut wird.
Wie können wir die Cybersicherheit für kritische Infrastrukturen garantieren?
Vertrauen ist die wichtigste Währung in der digitalen Welt. Nutzer*innen sollten in die Sicherheit digitaler Systeme vertrauen können. Grundlage dafür ist ein umfassend reformiertes IT-Sicherheitsgesetz, das auf der Höhe der Zeit ist. Dabei gibt es zwei Komponenten: Erstens die Infrastruktur sowie zweitens die smarten Geräte. Die Betreiber der Infrastrukturen wollen wir mit positiven Anreizen wie Zertifikaten für mehr IT-Sicherheit unterstützen. Es muss auch sichergestellt werden, dass Betreiber keine unsicheren Komponenten verbauen. Für die Abermillionen smarter Endgeräte, die im Umlauf sind, gibt es bisher keine Mindeststandards für die Sicherheit. Wir wollen eine Mindestfrist, wie lange Sicherheitsupdates vorgehalten werden müssen, und Sicherheitssiegel, die durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik vergeben werden.
Wir bitten Sie um einen Blick in die Glaskugel: Wie sieht das smarte Energiesystem für die Stadt von morgen aus?
Bei der jetzigen Innovationsgeschwindigkeit vor allem im digitalen Bereich können wir natürlich nicht wissen, wie die Technologien in 10 oder 20 Jahren aussehen. Klar ist jedoch, dass die Zukunft der Energieversorgung auf immer mehr erneuerbaren Energien beruhen und dass der Strom flexibel und dezentral produziert werden wird. Auch der Verbrauch wird sich ändern. Die Elektrifizierung verschiedener Sektoren, vor allem Verkehr und Wärmeversorgung, wird weiter zunehmen. Dadurch wird erneuerbarer Strom eine immer größere Rolle bei der Dekarbonisierung unserer Lebensgrundlagen spielen und so zum Klimaschutz beitragen. Dazu kommen Haushalte, die immer öfter beispielsweise mit Solaranlagen ihren eigenen Strom erzeugen, gleichzeitig aber auch sogenannte flexible Verbraucher sind. Dies bedeutet, dass sie ihren Strom- verbrauch intelligent, mithilfe digitaler Lösungen, anpassen und zum Beispiel ihre E-Autos dann laden, wenn günstiger Ökostrom in großen Mengen verfügbar ist. Wie bereits erwähnt, können sie mit intelligenten Zählern und durch variable Tarife ihren Stromverbrauch steuern und auch verringern. Damit spielen die Haushalte eine zentrale Rolle am Strommarkt und unterstützen die Energiewende in Richtung immer mehr erneuerbarer Energien von unten.
Das smarte Energiesystem der Zukunft ist also geprägt durch aktive Kund*innen, die eben nicht nur intelligent Strom verbrauchen, sondern ihn auch selbst erzeugen und sich insgesamt am Strommarkt beteiligen.
Momentan ist der Blick in die Glaskugel allerdings noch etwas getrübt – denn mit der EEG-Novelle, die die Bundesregierung gerade beschließen möchte, wird die Energiewende weiter ausgebremst. Dabei ist dringend notwendig, den Ausbau der Erneuerbaren endlich wieder richtig anzukurbeln und die Menschen mitzunehmen. Statt neue Hürden einzubauen, muss die Bundesregierung Bürgerenergie stärken und den Menschen die Möglichkeit geben, aktiv an der Energiewende teilzunehmen.
Wenn Sie eine politische Priorität für das Jahr 2021 benennen sollten: Energiewende oder Digitalisierung?
Kaum ein Bereich zeigt uns so deutlich auf, dass die Chance im Zusammenspiel liegt. Für die sozial-ökologische Transformation aller Lebensbereiche brauchen wir sowohl die Energiewende mit einem deutlich höheren Ausbau von erneuerbaren Energien als auch eine intelligente Steuerung durch digitale Werkzeuge. Smart Meter und Smart Grid können uns helfen, die regenerative Energie genau dorthin zu bringen, wo wir sie brauchen. Ob vernetzte E-Autos oder Wärmepumpen zu Hause, effiziente und klimaneutrale Industrie, punktgenaue Verteilung erneuerbarer Energie - auch für Rechenzentren - oder intelligente Steuerung von Pestiziden auf Feldern: Mit digitalen und datengetriebenen Innovationen können wir den Energie- und Ressourcenverbrauch effizient gestalten, gezielter reduzieren und bei Zukunftstechnologien führend werden. Das ist unser Anspruch.